Unser Interview mit Matthias Bettag von Semphonic EU
Dimitri Tarasowski: Hallo Matthias, stell Dich doch mal kurz für unsere Leser vor!

Matthias Bettag: Hallo Dimitri. Ich bin seit 2012 bei Semphonic und leite die neue “Europa-Filiale” mit Standort Berlin. Semphonic kommt ursprünglich aus der Webanalyse und ist eine Agentur mit Schwerpunkt strategischer Beratung, inzwischen zunehmend im Bereich Digital Analytics mit Multichannel sowie Data Integration und Warehousing. Semphonic hat verschiedene Standorte in USA mit Hauptquartier in San Francisco. Viele Kunden sind größere Unternehmen mit internationaler Aufstellung, insofern war es auch sinnvoll, Mitarbeiter in Europa zu haben, um in der Zeitzone des Kunden verfügbar zu sein. Vorher war ich bei Bayer Pharma im Global E-Marketing zuständig für Content Management und Webanalyse auf globaler Ebene, eine Art interne Beratungsrolle als Bindeglied zwischen Marketing/Business und IT, sowie den verschiedenen Kreativ- und technischen Agenturen. Dazu bin ich seit Anfang 2010 Country Manager der DAA (ex WAA) in Deutschland und seit diesem Jahr auch Co-Spokesperson der DAA Special Interest Group mit Schwerpunkt Online-Datenschutz in Europa, kurz DAA EU SIG.
Dimitri Tarasowski: Du bist seit Anfang des Jahres VP of Analytics bei Semphonic EU. Was sind deine Hauptaufgaben bei Semphonic?
Matthias Bettag: Grundsätzlich geht es darum, das wachsende Geschäft von Semphonic nach Europa zu tragen. Neben konkreter Projektarbeit bei verschiedenen Kunden sind meine beiden aktuellen Haupttätigkeiten in der Anfangsphase einerseits der Auf- und Ausbau des Partnernetzwerks und die Ausrichtung der XChange Konferenz vom 29.-31. Mai in Berlin, dazu unten mehr. Semphonic ist Consulting-Partner von ziemlich allen führenden Anbietern in der Webanalyse, z. T. auch mit technischer Zertifizierung wie z. B. für Google und Adobe/Omniture, welche den US-Markt weitgehend beherrschen. In Deutschland/Europa sind ein paar weitere Tools im Einsatz, wie (alphabetisch sortiert) AT Internet, Celebrus, comScore/Nedstat, Etracker, iJento, Webtrekk und Webtrends, welche zum Teil sehr unterschiedliche Anforderungen abdecken – hier wurde unser Netzwerk ausgebaut.
Dimitri Tarasowski: In ein paar Wochen findet die XChange-Konferenz in Berlin statt. Bei dieser Konferenz dreht sich alles um Huddles und Huddle Leaders. Kannst Du allen Lesern das Konzept, welches sich hinter XChange verbirgt, erläutern?
Matthias Bettag: Huddles ist ein Begriff aus dem American Football. Übertragen auf Fußball würde man wohl Rudelbildung dazu sagen. Gemeint sind Diskussionsrunden. Ein Huddle Leader ist der Moderator. Im Gegensatz zu “normalen” Konferenzen ist die XChange frei von Präsentationen und Powerpoint. Es gibt keine Vendor Exhibition und keine Paid Speaker oder Sponsoren. Stattdessen finden pro Tag drei Huddle-Sessions zu je 90 Minuten statt. Es finden jeweils sechs Huddles parallel statt, man stellt sich als Teilnehmer schon bei der Registrierung das individuelle Programm zusammen bzw. legt seine Wünsche fest.
Die Huddle Leader sind fast alle Anwender, die ihre persönliche Expertise zum jeweiligen Thema einbringen. Wesentlich ist aber, dass die Teilnehmer sich selber einbringen und mitmachen. Es geht um gegenseitigen Austausch, Diskussionen, Fragen und Trends, aber nicht darum, einem Monolog zuzuhören. Anbieter und Berater sind natürlich auch dabei, aber nicht mit deren gesammelter Sales Force sondern mit je 1 – 2 Senior Consultants, um eben inhaltlich mitzureden. Eigenwerbung und Wettbewerb sind hier verpönt. In den USA funktioniert das außerordentlich gut. Neben extrem wertvollem Input durch die Anbieter (manchmal werden da schon einige inoffizielle Vorabinfos kundgetan) erleben die Anbieter auch die Anwendersicht. Ein großer Mehrwert für beide Seiten.
Dimitri Tarasowski: Welche Huddle Leader werden in Berlin teilnehmen? Sind ein paar Überraschungen geplant? Worauf freust Du Dich am meisten?
Matthias Bettag: Wir haben – wie ich finde – erstklassige (Web)Analysten von Top-Unternehmen als Huddle Leader gewinnen können, so z. B, Tom Betts von der Financial Times, Matt Fryer von Hotels.com, Ole Bahlmann von Soundcloud, Peter Pletsch von MeineStadt.de, mit Jacques Warren kommt ein bekannter “Veteran” der Webanalyse aus Kanada, Isabelle Mouli-Castillo von Dell, Gemma Munoz (die weibliche Avinash Kaushik aus Spanien) und einige mehr u.a. auch von Nokia, Disney, Comcast, Virgin u.v.m.
Übrigens wird auch Jim Sterne als einfacher Teilnehmer zur XChange erscheinen. Das zeigt vielleicht, welchen Stellenwert die XChange in den USA schon erreicht hat, dort ist es das Top-Event für die Top-Experten aus unserer Branche. Das Erfolgsformat möchten wir gerne dauerhaft nach Europa übertragen. Ich freue mich sehr auf den Austausch mit vielen Kollegen und Experten, ich bin sicher, dass wir uns nicht hinter den USA verstecken müssen, die kochen schließlich auch nur mit Wasser – nur vielleicht schon etwas länger und in größeren Töpfen.
Dimitri Tarasowski: Vor Kurzem wurde die Web Analytics Association in Digital Analytics Association umbenannt. Es gab sowohl positive als auch negative Stimmen bei dieser Rebranding-Kampagne. Wie ist Deine Meinung dazu und wie wird sich die Web Analytics-Branche dadurch verändern? Kann man sich noch als Web Analyst bezeichnen?
Matthias Bettag: Die Umbenennung ist ja keine Marketing-Idee sondern dient dazu, das Berufsbild des (ehemals) Webanalysten nicht zu kurz greifen zu lassen. Web ist inzwischen nur noch ein Kanal unter vielen. Digital Analytics umfasst auch Mobile, Social, Apps und Tablets, und bewegt sich in rasender Geschwindigkeit Richtung Multichannel, Data Integration und Data Warehousing. Die Welt dreht sich weiter, die DAA möchte das Berufsbild der (nunmehr) Digital Analysts schützen, stärken und ausbauen. Der Terminus “Web” greift einfach nicht mehr weit genug.
Natürlich kann man sich auch noch als Webanalysten bezeichnen, das ist ja immer noch die Kerndisziplin in unserem Beruf. Die Zertifizierung (“Certified Web Analyst”) bleibt auch so bestehen, nur ist man nun eben von der DAA zertifiziert. Mittelfristig wird die Zertifizierung aber auch angepasst. Viele verstehen unter Webanalyse ja auch das wie oben beschriebene erweiterte Berufsfeld. Aber man sollte vorsichtig sein, wenn damit bei Außenstehenden impliziert wird, dass es sich nur um Web, nicht aber um andere Online-Kanäle handelt.
Dimitri Tarasowski: Was sind Deiner Meinung nach die Top 3 Themen (Trends) außer Big Data, Multichannel und Datenschutz? Welche dieser Themen werden auf der XChange behandelt?
Matthias Bettag: Neben den genannten Themen denke ich, dass Mobile und Social einen Schwerpunkt bieten werden. Zudem wird es allgemein um Methoden gehen, die helfen, einen ROI oder Zielerreichung zu messen, wo es nicht offensichtlich ist wie bei Social Media-Aktivitäten. Hinzu kommen strategische Themen wie z. B. der Aufbau einer Analyse-Abteilung oder der Umgang mit anderen Bereichen wie IT, Marketing oder Führungsebene.
Dimitri Tarasowski: Wie siehst Du die zukünftige Entwicklung der Analytics-Branche in Europa. Was wird in ein paar Jahren an der Tagesordnung vieler Unternehmen stehen? Auf welche Kernbereiche sollten sich sowohl die Tool-Anbieter als auch Digital (Web) Analysten konzentrieren?
Matthias Bettag: Alle reden derzeit vom Datenschutz. Das ist natürlich ein wesentliches Element, bei dem die Branche umdenken muss und sich entsprechend anpassen wird, um die nötige Transparenz, Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten. Unternehmen werden aber stark dahin tendieren, sich online und offline miteinander zu verbinden. Statt Besuche will man Besucher verstehen und individuell unterstützen, als zufriedenen Kunden erhalten oder auch bewerben. Die ganze technische Entwicklung geht in rasanter Fahrt Richtung “Internet der Dinge” mit einem unglaublichen exponentiellen Datenwachstum und -Austausch. Augmented Reality ist ein weiterer Trend, der gerade erst in rudimentärer Form begonnen hat, Bio-Technologie ist ein weiteres Feld, Sensor-Technologie wird den Straßen- und Fernverkehr bestimmen und automatisieren wie jetzt schon in der Logistik. Das alles ist bereits da, nur eben noch im Frühstadium und nicht voll vernetzt und noch mit Verzögerungen der Verfügbarkeit von Daten und Analysen.
Ich wette, dass wir in wenigen Jahren heute zurückblicken und über die langsame und komplizierte Benutzung von Apps auf Smartphones lachen werden. Digitale Netzwerke werden unseren Alltag maßgeblich bestimmen und überall verfügbar sein. Wie damit umgegangen wird, nicht nur technisch sondern auch sozial und politisch, ist eine außerordentlich spannende Frage.
Tool-Anbieter sollten sich einerseits Alleinstellungsmerkmale suchen und aufpassen, keinen Zug zu verpassen, wenn man sich nur auf einen Kanal oder eine Methodik festlegt. Der Trend geht klar Richtung kanalübergreifender Besuchererfassung und entsprechend optimierten individualisierten Service, also Personalisierung. Es wird wesentlich sein, aus dem schier unendlichen Datenwust die wesentlichen Erkenntnisse zu liefern. Und zwar in Echtzeit, extrem zuverlässig, und anwendergerecht aufbereitet.
Dimitri Tarasowski: Neben Deiner Haupttätigkeit bei Semphonic bist du auch als Sprecher der Special Interest Group (SIG) der Digital Analytics Association aktiv. Kannst du den Lesern etwas über Deine Tätigkeit bei der SIG und die ersten Erfolge berichten?
Matthias Bettag: Gerne. Die SIG wurde gegründet um die DAA als unabhängigen und seriösen Partner für politische Entscheidungen zu etablieren. Mitglieder der SIG sind europäische Webanalysten, sorry: Digital Analysts natürlich, die wiederum Mitglied der DAA sind. Die EU-Kommission wünscht sich kompetente Ansprechpartner zum gegenseitigen Austausch und auch gerade, um aus der Praxis zu lernen. Die EU hat kein Interesse daran, mit einer Direktive oder Regulation unerwünschte Nebenwirkungen zu erzeugen, also in unserem Fall die Online-Branche treffen wo es gar nicht gewollt ist. Insofern hat die SIG das Ziel, einerseits über Digital Analytics aufzuklären (derzeit vor allem zur Frage “was machen Cookies und was nicht”), sowie andererseits “best practices” zu sammeln, um diese zu verteilen und zu etablieren. Daneben sammelt die SIG auch Fälle, wo bestehende Regelungen evtl. das Ziel verfehlen oder sogar kontraproduktiv sind. Das wird vor allem ab Ende Mai in UK interessant werden, wenn die dortige “Cookie-Opt-in”-Gesetzgebung startet. Das alles kann dann mit der EU-Kommission besprochen werden und ggf. Auswirkungen auf die im März 2012 bereits angekündigte Reform der Datenschutz-Direktive haben. Wir sind hier bereits im Austausch. SIG-Mitglieder müssen aber nicht nach Brüssel umziehen, die Kommunikation ist kanalisiert, es geht innerhalb der SIG erst einmal um den Austausch untereinander in Anbetracht der Gesetzgebungen und Regularien der verschiedenen Länder und den daraus resultierenden Konsequenzen für unsere Tätigkeit.
Es ist wichtig zu verstehen, dass sich Politiker nicht unbedingt um technische Belange kümmern. Das ist auch nicht deren Aufgabe. Man muss nicht wissen, wie ein Motor funktioniert, um ein Tempolimit vor einer Schule zu fordern. Natürlich ist es für den Gesetzgeber unablässig, die generellen Funktionen und Möglichkeiten zu kennen, deswegen ja auch der Austausch. Generell muss sich die Industrie dann entsprechend der Gesetze verhalten, auch wenn es nicht sehr komfortabel ist. In der Tat ist Online-Datenschutz im internationalen oder globalen Kontext etwas komplizierter als das genannte Beispiel..
Dimitri Tarasowski: Was erwartet uns noch auf der XChange? Was sind die besonderen Outcomes für die Besucher der Konferenz?
Matthias Bettag: Die XChange ist nicht nur eine Konferenz bei der man neue Informationen und Erkenntnisse gewinnt, sondern auch eine Art Trainings- oder Bootcamp und erlaubt, ein außerordentliches Netzwerk zu knüpfen und auszubauen. Teilnehmer beschreiben die XChange auch als sehr motivierend. Nach zweieinhalb Tagen ist man sich in der vergleichsweisen vertrauten Runde (die Konferenz ist auf maximal 85 Teilnehmer limitiert und hat ein umfangreiches Abendprogramm) sehr nahe gekommen, das geht weit über den Austausch von Visitenkarten und etwas Smalltalk hinaus. Ich persönlich habe enorm viel von den beiden XChanges mitgenommen, welche ich 2009 und 2011 in USA besucht habe. Übrigens ist die Konferenz auch eine exzellente Möglichkeit, sich und sein Unternehmen bei ausgewiesenen Fachexperten einzubringen. Nicht aus plakativen Werbezwecken, das auf keinen Fall, sondern einfach dahingehend, dass man ganz vorne mit dabei ist, wenn es um das eigene Fachgebiet bzw. dessen Anwendung im jeweiligen Unternehmen geht.
Dimitri Tarasowski: Vielen Dank, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast. Bis in ein paar Wochen auf der XChange in Berlin! Tickets können auf der Semphonic Webseite erworben werden. Bis zum 19. Mai werden noch Early Bird Tickets verkauft! Wer Fragen hat, kann sich gerne an Matthias Bettag unter [email protected] wenden, es gibt noch ein paar Tickets zum Sonderpreis…


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